Rapport und Beziehung in der Neuro-Linguistischen Psychotherapie
— über das klassische NLP-Verständnis hinaus[1] —
Im ersten Teil des Beitrags setzte ich mich kritisch mit dem bisherigen Verständnis „therapeutischer Beziehung“ in der Neuro-Linguistischen Psychotherapie (NLPt) auseinander, im zweiten Teil gebe ich differenzierte Anregungen und Impulse, die über das Bisherige hinausweisen. Ein Basisverständnis der neuro-linguistischen Grundideen sowie seiner Terminologie, insbesondere der Begriffe Rapport, Pacing und Leading werden hierfür beim Leser vorausgesetzt.
Das bisherige Verständnis von Rapport und Beziehung in NLP und NLPt
– eine kritische Betrachtung
Fragt man bekannte und weniger bekannte Vertreter des NLP, was denn die wichtigste Grundlage für die Beziehung zwischen NLP-Anwender und Klient sowie für den legitimen und erfolgreichen Einsatz seiner Methoden sei, so lautet die Antwort zumeist: „ein guter Rapport“.
Drei seit längerem beobachtbare Phänomene fallen in diesem Zusammenhang auf:
Dafür, dass der „gute Rapport“ so wichtig ist und ja angeblich in den NLP-Ausbildungen gründlich gelernt wird,
- wird dem Thema in der NLP-Literatur ein erstaunlich geringer und teilweise recht undifferenzierter Raum eingeräumt
- ist es dem NLP bislang nur wenig gelungen, sich innerhalb der angestrebten Zielgruppen (sei es nun Management, Schule oder Psychotherapie) wirklich zu etablieren
- scheint auch die Kommunikation der NLP-Anwender untereinander häufig nicht besser zu verlaufen wie diejenige zwischen nicht NLP-geschulten Menschen.
Die beiden letzten Phänomene sind innerhalb der NLP-Szene hinlänglich bekannt und lassen auf deutliche Defizite im Rapport-Bereich schließen – sei es, dass es an der Bereitschaft mangelt, sich ernsthaft um ihn zu bemühen, und/oder dass die Fähigkeiten hierzu nicht ausreichend sind. In beiden Fällen erfüllt ein Großteil der NLP-Ausbildungen nicht oder nur unzureichend den Selbstanspruch, die Fähigkeit zu gutem Rapport erfolgreich zu trainieren. Täten sie es, würden die genannten Phänomene nicht in diesem Ausmaß auftreten. Bleibt die Frage, woran das liegt. Ist das NLP-Versprechen der Lern- und Machbarkeit von gutem Rapport gar nicht oder zumindest nicht mit den bisher beschriebenen Mitteln einlösbar? Oder wird seitens der Ausbilder fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Hinweis auf die Wichtigkeit und ein paar kleine diesbezügliche Übungen schon ausreichend seien? Ich denke, beides ist der Fall, und beides führt zusammen zu den beobachteten Phänomenen. Dabei ist die mangelnde Bereitschaft zum Rapport ein primär ethisches Problem, das aber meines Erachtens neben dem Fähigkeitentraining in den Verantwortungsbereich der Ausbilder fallen müsste, da ja mit der Vergabe der NLP-Zertifikate der verantwortliche und flexible Umgang mit den Grundannahmen und Methoden des NLP bescheinigt wird.
Geschichtlich betrachtet, besteht seit den Anfängen des NLP eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch, „Rapport-Profi“ zu sein, und der gelebten Wirklichkeit: a) Sind die Begründer des NLP und maßgeblichen Weiterentwickler weitgehend unter einander zerstritten, b) machen sie in ihren Büchern und Aufsätzen häufig andere therapeutische Schulen und deren Methoden schlecht, ohne sich ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. NLP-mäßig gesprochen, versuchen sie in der Auseinandersetzung mit Nicht-NLPlern ein krasses Leading („Schaut, wir sind die Besten, ihr seid blöd, folgt uns einfach!“), ohne sich erst lange mit Pacing oder gar Wertschätzung der anderen aufzuhalten. Von Beginn an war die Bereitschaft, mit Andersdenkenden in Rapport zu treten, eher schwach ausgeprägt. Gepacet wurden durch die Schlechtmacherei nur die von anderen Methoden bereits Enttäuschten und all diejenigen, die sich schnelle und einfache Beeinflussungsmöglichkeiten erhofften – sei es hinsichtlich der eigenen Person oder hinsichtlich anderer Menschen. Die angeblich schnellen, einfachen, genialen und dabei sogar noch leicht zu erlernenden Methoden zur Lösung aller Probleme bzw. zum Erreichen beliebiger Ziele sind denn auch das, was die meisten NLP-Bücher bis heute füllt. Rapport wird zwar als elementar bedeutsam beschrieben. Trotzdem ist über das „Wie“ des Rapports und über seine Vorbedingungen nur verhältnismäßig wenig zu finden. Und dieses Wenige beschränkt sich meist auf die Auflistung technischer Aspekte. Weitgehend wird dabei suggeriert, dass unter Beachtung dieser rapportfördernden Techniken Rapport auch leicht „hergestellt“ werden könne. Eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema Rapport konnte sich unter der NLP-Maxime „schnell, einfach und erfolgreich“ wohl bisher nicht entwickeln, hätte sich dabei doch herausgestellt, dass Rapport eben (oft) nicht einfach und oft auch nicht schnell zu erreichen ist.
Das finde ich aus zwei Gründen bedauerlich:
- Halte auch ich das Erkennen seiner Wichtigkeit und das Anstreben eines guten Rapports für das elementare Herzstück des NLP in jedem seiner Anwendungsgebiete, ganz besonders aber in der Psychotherapie.
- Stecken meines Erachtens in den NLP-Grundgedanken und Grundtechniken zum Thema Rapport bereits viele hilfreiche Ideen und Möglichkeiten, die (aller obigen Kritik zum Trotz) tatsächlich dazu beitragen können, einen guten Rapport zu begünstigen oder sogar erst zu ermöglichen.
Ich glaube, dass die differenzierte theoretische und praktische Beschäftigung mit dem Thema Rapport ein längst überfälliger und sinnvoller Beitrag zur Positionsbestimmung und Weiterentwicklung der Neuro-Linguistischen Psychotherapie ist. Dazu möchte ich im folgenden erste Anregungen geben und zum weiteren Nachdenken und Erforschen einladen.
Betrachten wir zunächst einmal einige gängige Definitionen und Charakterisierungen von Rapport, wie sie sich in der NLP-Literatur finden:
Robert Dilts, ein bekannter und viel gerühmter NLP-Co-Entwickler:
Herstellen von Vertrauen, Harmonie und Kooperation in einer Beziehung.[2]
Auf der gleichen Wellenlänge sein mit einer anderen Person… Rapport tritt auf, wenn Sie sich an das Verhalten einer Person auf vielen unterschiedlichen Ebenen angleichen oder es pacen.[3]
Joseph O’Connor und John Seymour, bekannte britische Autoren der zweiten NLP-Generation:
Rapport ist hier synonym mit Empathie und bezeichnet auch die Fähigkeit, von anderen die gewünschten Antworten zu erhalten.[4]
Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass sie Rapport als einseitig machbar darstellen; in der letzten kommt im zweiten Teilsatz ein einseitig manipulativer, ethisch bedenklicher Schwerpunkt hinzu, dessen Diskussion aber nicht Gegenstand dieses Aufsatzes sein soll. Fast gleichgültig erscheint es bei diesen Definitionen, ob denn tatsächlich eine tragfähige Beziehung aufgebaut wurde oder ob das Gegenüber lediglich einer derartigen Illusion unterliegt. (Falls letzteres der Fall sein sollte, bleibt vor allem die Frage: Was wird aus den zunächst möglicherweise erreichten Behandlungserfolgen, wenn der Klient später erkennt, dass der zunächst als positiv empfundene Rapport nur eine strategische Mogelpackung war? – Etwa nach dem Motto „Die gute Beziehung, die du zu mir empfunden hast, habe ich künstlich gemacht, von meiner Seite aus war zu dir nichts oder nur wenig an Echtem; ich habe dir aber doch eine tolle Illusion ermöglicht, oder?“)
Entlehnt wurde der Begriff Rapport aus der Hypnotherapie:
Rapport ist eine positive Beziehung zwischen Individuen. Sie basiert auf Verständnis und Vertrauen. Rapport mit einem Klienten ist dann ereicht, wenn er / sie das Gefühl hat, verstanden zu werden und wenn er / sie fühlt, daß die Bedeutung und Komplexität seiner / ihrer persönlichen Erfahrung wertgeschätzt wird.[5]
In dieser zu den vorgenannten durchaus ähnlichen Definition verschiebt sich der Fokus von der technischen Machbarkeit (in für mich angenehmer Weise) auf die Echtheit der Beziehung, auf das Wohl und die Wertschätzung des Klienten.
Von den beiden Pionieren des NLP im deutschsprachigen Raum wird Rapport denn auch bereits differenzierter, eher an die hypnotherapeutische Definition angelehnt, betrachtet.
Gundl Kutschera:
Rapport ist dann vorhanden, wenn wir mit anderen Menschen und der Natur in Verbindung sind. Wenn Menschen spüren, dass sie etwas gemeinsam haben, beginnen sie sich sofort verbunden zu fühlen und gehen aufeinander ein. Rapport ist dann gegeben, wenn wir in die äußere und innere Welt eines anderen „eintauchen“ – den anderen „in seiner Welt treffen und dort abholen“. Rapport entsteht durch die Erfahrung des Gleichseins.[6]
Kutschera legt hier den Fokus auf das „Wir“. Rapport entsteht durch eine gemeinsame Erfahrung, nicht durch etwas einseitig technisch Induziertes. Dies als eine Erfahrung des „Gleichseins“ zu bezeichnen, scheint mir für die meisten Fälle allerdings überzogen, für einen guten Rapport auch unnötig und in einem therapeutischen Kontext nicht einmal erstrebenswert. Die Erfahrung als „Ähnlichsein“ zu bezeichnen, träfe es meines Erachtens besser.
Thies Stahl:
Rapport … bezeichnet … das intensive Aufeinanderbezogensein in der Beziehung … Rapport ist und bleibt, bei allen rapporterleichternden Möglichkeiten, die das NLP bietet, ein Spontanphänomen. Damit ist er auch ein Geschenk, das nicht erzwungen („gemacht“) werden kann.[7]
Auch Stahl hebt die Gegenseitigkeit beim Rapport hervor und distanziert sich im zweiten Teil von der Illusion der vorhersagbaren Machbarkeit.
Die beiden einzigen mir bis heute vorliegenden Bücher, die sich explizit der Neuro-Linguistischen Psychotherapie widmen, bleiben eher vage und reduzieren das Thema (obwohl zeitlich nach den Büchern von Kutschera und Stahl veröffentlicht) wieder weitgehend auf die ursprünglich von Bandler und Grinder postulierte, in meinen Augen eher fragwürdige, einseitige Herstellbarkeit von Rapport. Immerhin betonen sie dabei die Wichtigkeit der Kongruenz und Echtheit seitens des Therapeuten in seinem Bemühen um Rapport.
Gernot Schauer:
Ein Therapeut muß … die Fähigkeit besitzen, eine interpersonale Stimmigkeit aufzubauen, um eine Vertrauensbasis zwischen Therapeut und Klient herzustellen.[8]
Peter Schütz et al.:
Der therapeutische Prozess kann nur auf der Basis einer tragfähigen, respektvollen Beziehung, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist, erfolgen. Daher ist es auch die erste und wichtigste Aufgabe der NLP-Therapeutin, eine tragfähige Beziehung herzustellen, die durch Vertrauen und Respekt, Wertschätzung, Empathie und partnerschaftliche Zusammenarbeit gekennzeichnet ist. In der Neuro-Linguistischen Psychotherapie (NLPt) wird das als Rapport bezeichnet.[9]
In dieser Definition sehe ich allerdings einen gewissen logischen Widerspruch zwischen der Postulierung einer einseitigen Herstellung des Rapports einerseits und der geforderten partnerschaftlichen Zusammenarbeit andererseits.
Außerdem scheint es mir zu kurz gedacht, wenn im ersten Satz gesagt wird, der therapeutische Prozess könne „nur auf der Basis einer tragfähigen, respektvollen Beziehung, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist, erfolgen“. Sicherlich wird häufig, wenn dies gegeben ist, ein sinnvoller therapeutischer Prozess möglich sein, in der Praxis aber erscheint mir gerade – und ganz besonders, wenn beim Klienten Struktur- und Persönlichkeitsstörungen vorliegen – das gemeinsame Ringen um eine solche gegenseitig respektvolle Beziehung, der häufig lange Weg bis dahin, als hochgradig therapeutisch relevant und hilfreich. Das fortgesetzte Bemühen des Therapeuten um den Rapport ist so betrachtet also elementarer Teil des therapeutischen Prozesses, eher ein Ziel als eine Voraussetzung. Trotzdem sollte natürlich die mögliche (und praktisch auch vielseitig ausdrückbare) Wertschätzung des Therapeuten seinem Klienten gegenüber im Einzelfall eine Voraussetzung für die Annahme eines Klienten sein; ebenso wie die Bereitschaft und die Fähigkeit des Therapeuten, andere Menschen insbesondere seine Klienten wertschätzend zu betrachten und wertschätzend zu behandeln, eine generelle Voraussetzung für den Beruf des Neuro-Linguistischen Psychotherapeuten überhaupt sein sollte. Die dem Klienten in vielen Fällen zunächst (und vielleicht auch über einen längeren Zeitraum) einseitig entgegen zu bringende Wertschätzung bietet im fortlaufenden therapeutischen Prozess dann die Chance, dass auch die umgekehrte Wertschätzung möglich und/oder stärker wird.
Insgesamt finden sich in der NLP-Literatur (trotz seines systemischen Selbstanspruchs) vorwiegend lineare (oftmals fast kochrezeptartige) Beschreibungen einzelner Veränderungstechniken und therapeutischer Methoden. „Rapport-Herstellen“ gilt dabei als erster Schritt, bevor weitere methodische Schritte folgen können; das „Rapport-Herstellen“ selbst untergliedert sich wiederum in zwei linear auf einander folgende Verhaltensweisen des Therapeuten – Pacing und Leading:
Eine der effektivsten und bekanntesten Methoden zum Herstellen von Rapport ist das Pacing. Beim Pacing werden Elemente des eigenen Verhaltens dem wahrgenommenen Verhalten der Klientin angeglichen. Das Pacing bezieht sich sowohl auf den nonverbalen Bereich (Spiegelung des analogen Verhaltens wie Körperhaltung, Stimme, Atmung, u.a.) als auch auf die Sprache der Klientin, z.B. Angleichen an die für die Klientin charakteristischen Prädikate in allen Sinnessystemen, Verwendung der Worte in der Reihenfolge, die der inneren Verarbeitungsstrategie der Klientin entspricht, Spiegeln der Wortwahl, Wiederholen von inhaltlichen Aussagen etc.
Auch ein allgemeines Spiegeln/Mitschwingen des NLP-Therapeuten hinsichtlich anderer Persönlichkeitsmerkmale, vor allen Dingen hinsichtlich der Glaubens- und Wertsysteme wird angestrebt.[10]
Auf ein genügend langes Pacing kann … das Leading, ein Führen und Lenken des Klienten auf der Verhaltens-Ebene folgen … Der … [Therapeut] verändert in fließendem Übergang vom Pacing zum Leading einige seiner eigenen Verhaltensweisen. Folgt der Klient, indem er nun seinerseits den … [Therapeuten] spiegelt, gilt der Rapport als positiv hergestellt; folgt er ihm nicht, muß … [er] sein Pacing solange wieder aufnehmen, bis ein Leading möglich wird.[11]
Ist der Rapport dann derart mit Hilfe von Pacing und Leading hergestellt und überprüft, können in darüber hinaus gehenden Leading-Maßnahmen gezielte methodische und veränderungswirksame Schritte an den Klienten herangetragen werden. Solange er sich auf sie einlässt, gilt der Rapport als gut. Leistet er direkt oder indirekt Widerstand gegen einzelne Leading-Versuche des Therapeuten, muss dieser die Ursache herausfinden, indem er zunächst wieder zum Pacing übergeht. Pacing- und Leadingphasen wechseln sich also in der Therapie kontinuierlich ab, wobei zu Beginn der Therapeuten-Klienten-Beziehung die Pacing-Phasen, im weiteren Verlauf die Leading-Phasen überwiegen sollten.[12]
Soviel zum klassischen Verständnis von Rapport, Pacing und Leading im NLP, das sich fast unverändert auch in den bisher formulierten Ansätzen explizit psychotherapeutischer NLPt-Literatur wiederfindet.
Nahezu gleichgesetzt wird dieser eher mechanistisch zustande gekommene Rapport dann mit der therapeutischen Beziehung als solcher. Das Ziel von Rapport wird kurz und knapp mit wohlklingenden Begriffen wie Vertrauen, Harmonie, Kooperation, Respekt, Wertschätzung, Empathie und partnerschaftliche Zusammenarbeit charakterisiert, ohne dass diese Nominalisierungen näher erläutert werden. Das eigentliche Ziel aber scheint nicht die empathische oder partnerschaftliche Beziehung zu sein, ihr Wert reduziert sich vielmehr auf die nur mit ihrer Hilfe sich bietenden Leading-Möglichkeiten. Was die therapeutische Beziehung darüber hinaus ausmacht, bleibt weitgehend unklar, gewissermaßen dem Zufall oder der Intuition des Therapeuten überlassen. (Was natürlich kein Nachteil sein muss, wenn die therapeutische Intuition gut ist. Kann man aber per se davon ausgehen?)
Wenn Sie, werte Leserin und werter Leser, in meiner bisherigen Darstellung überwiegend kritische Untertöne vernommen haben, so ist dies sicherlich richtig (und auch von mir beabsichtigt). Meines Erachtens ist das bisherige, weit verbreitete Verständnis von Rapport und Beziehung im NLP und in der NLPt nicht ausreichend, teilweise sogar eher hinderlich für eine gute, nachhaltig wirkende Psychotherapie (und auch in den nicht therapeutischen Anwendungsgebieten zumindest bedenklich). Ich hoffe, dieses Maß an Kritik wird mir erlaubt, da ich gleichzeitig auch mein eigenes bisheriges (zumindest mein bisher schriftlich niedergelegtes) diesbezügliches Verständnis von Rapport und Beziehung (wenn auch nur implizit) mitkritisiert habe. Schließlich habe ich 1992 in meinem wissenschaftlich orientierten NLP-Grundlagenbuch „NLP & Imagination“ unter der Überschrift „Herstellung und Aufrechterhaltung von Rapport“[13] ziemlich genau das dargelegt, was den hier zitierten Definitionen und Beschreibungen entspricht. Die Sinnhaftigkeit aber haben auch die neueren Autoren (Schauer und Schütz et al.) leider genauso wenig hinterfragt, wie ich dies 1992 tat.
Impulse für ein neues Verständnis von Rapport und Beziehung in der NLPt
Am weitesten und differenziertesten reflektiert hat das Thema „Rapport und therapeutische Beziehung“ meines Erachtens Thies Stahl in seinem bereits 1992 erschienenden Büchlein „Neurolinguistisches Programmieren“[14]. Deshalb möchte ich seine oben zitierte Definition hier durch einige weitere Zitate ergänzen, bevor ich, darauf aufbauend, eigene Fragen, Ideen und Anregungen gebe.
Der Therapeut kann überprüfen, ob er genug Rapport zu seinem Klienten hat, um mit einer der NLP-Veränderungstechniken zu beginnen, indem er darauf achtet, ob seine eigene Art, sich zu bewegen, mit der seines Klienten synchron sind, ob es also zwischen ihm und seinem Gegenüber so ein ähnliches Phänomen gibt, wie das, was Musiker den Groove nennen: So etwas wie ein Schwingen und Dasein im gleichen (Grund-)Rhythmus.[15]
Hier wird also der Rapport nicht primär als ein technisch herbeizuführender beschrieben, bevor dann (endlich) begonnen werden kann. Eher werden die bei gutem Rapport offensichtlich vorhandenen Phänomene genutzt, um auch bewusst überprüfen zu können, wie gut der Rapport ist. Die lineare Trennung (erst Rapport, dann die Veränderung) hält aber auch Stahl hier aufrecht.
Was tut der Therapeut, wenn der Rapport in dieser Weise nicht vorhanden oder gestört ist? Auf diese Frage gibt es mindestens zwei Antworten. Eine, die eher aus der amerikanischen NLP-Kultur stammt und eine, die eher die Weise wiederspiegelt, in der der Autor in Deutschland das NLP vermittelt.
Zum einen kann der Therapeut mit seinem eigenen Verhalten bewußt das Verhalten des Klienten spiegeln, in den Merkmalen Haltung, typische Bewegungen, Art der Atmung, Häufigkeit des Blinkreflexes, Wortwahl, Stimmqualitäten u.a.
Zum anderen kann der Therapeut mit dem Klienten zusammen klären, ob es noch etwas Unerledigtes zwischen ihnen gibt, und/oder ob sie sich gegenseitig an irgendeinen anderen Menschen erinnern. Der ehrliche Austausch über das, was sie dann zutage fördern, wird zumeist dafür sorgen, daß das Phänomen Rapport spontan auftritt oder wiederauftritt.
Die beste Grundlage für den Rapport ist die Kompetenz des Therapeuten. Sie äußert sich auf vielen Ebenen, z.B. auch und gerade darin, daß er keine Angst davor hat, Rapportstörungen offen anzusprechen.
Hat der Therapeut den Rapport tatsächlich verloren oder überhaupt noch nicht bekommen, helfen keine technischen Tricks, hier hilft nur, was den Rapportverlust gleichzeitig zur Chance für den Therapeuten macht:
Fallsupervision … außerdem Mut und Ehrlichkeit bis hin zum Eingeständnis des Nichtweiterkönnens aufgrund zu großer Ähnlichkeiten des Klienten mit eigenen Beziehungspersonen oder mit eigenen unaufgelösten Problemsituationen (was meistens dazu führt, daß die Beziehung dann wieder arbeitsfähig wird).[16]
Wieder wird deutlich, dass es um eine aufrichtige Beziehung geht, innerhalb derer Neues probiert und gelernt werden kann, nicht um das Erzielen von Beziehungsillusionen und Effekten.
Das Pacing kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Alle Bereiche, in denen sich der Klient äußert, können in der therapeutischen Begegnung einbezogen (adressiert) und gewürdigt werden. Pacing ist der fortlaufende Prozess des verbalen und nonverbalen Bestätigens der Besonderheiten der Äußerungen und des Verhaltens des Klienten durch den Therapeuten.
Ein Beispiel für nonverbales Pacing ist, wenn der Therapeut den Klienten in Stimmlage oder Atmung spiegelt. Verbales Pacing ist die Angleichung im sinnesspezifischen Sprachgebrauch oder etwa auch, eine Zusammenfassung dessen zugeben, was der Klient gerade über sich selbst, seine Glaubenssätze oder seine Wertvorstellungen gesagt hat.
Dabei kann es durchaus vorkommen, daß der Therapeut völlig anders sitzt, atmet, spricht und sich bewegt als der Klient, während das rapportsichernde Pacing auf einer höheren Ebene stattfindet, etwa wenn der Klient sich vom Therapeuten in den zentralen Fragen seiner Identität wahrgenommen und verstanden fühlt.
Das Pacing ist immer die Grundlage für das Leading: der Therapeut reflektiert das Jetzt-So-Sein des Klienten, um ihn dann eventuell in ein anderes Verhalten oder Erleben begleiten zu können.
Rapport ist dann vorhanden, wenn der Therapeut sensibel und offen genug für seinen Klienten ist, um sich auf ihn auf allen Ebenen einzustellen. Denn jeder zusätzliche Bereich, den der Therapeut beim Klienten wahrnehmen und verhaltensmäßig oder verbal „ansprechen“ (pacen) kann, ist immer auch ein weiteren Zugang zu Fähigkeiten, die der Klient zum Erreichen seiner Ziele zusätzlich sicher gut brauchen kann.[17]
Stahl beschreibt den Pacing- und Leading-Prozess hier bereits (wenn auch nur exemplarisch) recht differenziert und eher von seiner (postulierten) inneren therapeutischen Haltung aus als von seinem äußeren therapeutischen Tun her. Von außen wird ein Beobachter, der sich auf das jeweils stattfindende Pacing konzentriert, kaum einen Unterschied zwischen einer einzelnen Stahlschen Therapiesitzung und einer einzelnen „amerikanischen“ (auch in unseren Breitengraden häufig so anzutreffenden) NLP-Sitzung bemerken. Atmosphärisch würden sich beide Sitzungen aber wohl deutlich voneinander unterscheiden. Die von Stahl würde aller Voraussicht nach beim Beobachter die angenehmeren und entspannteren Gefühle auslösen, die Kommunikation würde authentischer, aufrichtiger und natürlicher wirken (und natürlich auch sein). Der Klient würde sich wahrscheinlich besser fühlen, den Rapport als besser beurteilen; und die Therapie würde eine besseren Verlauf nehmen. – So zumindest meine (bisher unüberprüfte) These.
Wie also soll es in der NLPt sein? Wie wollen wir die therapeutische Beziehung? Wie bekommt sie Sinn und hilft bestmöglich? Sollte sie dem klassischen NLP entsprechend ihren Fokus auf der Herstellung von Rapport haben? Oder sollte sie gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, wie etwa in der Lösungsorientierten Kurzzeittherapie von Steve de Shazer[18] (der da meint, die Persönlichkeit des Therapeuten und die Beziehung zum Klienten spiele keine besondere Rolle, ein entsprechend programmierter Roboter oder Computer könne es genauso gut wie ein Mensch[19])? Oder sollte sie gemäß der von Thies Stahl skizzierten Richtung angestrebt werden? Oder sollte sie noch ganz anders sein? Und wie findet sie in der bestehenden Praxis Neuro-Linguistischer Psychotherapeuten tatsächlich statt?
In meiner praktischen Arbeit denke und handele ich ähnlich wie Thies Stahl (soweit ich ihn verstanden habe) und möchte daher die Neuro-Linguistische Psychotherapie in dieser Richtung positioniert wissen und weiter entwickeln.
Wie stark die Bedeutung und der Einfluss der therapeutischen Beziehung für den Therapieerfolg im Einzelfall tatsächlich ist, wird von Klient zu Klient unterschiedlich sein. Je stärker beim Klienten Beziehungsdefizite vorhanden sind, desto wichtiger wird sie sein. In derartigen Fällen kann das Ringen und das gemeinsame Sich-Erarbeiten von Rapport der wichtigste therapeutische Schritt überhaupt sein (weshalb meines Erachtens die veränderungswirksame Arbeit in solchen Fällen auch von Anfang an beginnt und nicht erst, wenn Rapport da ist – siehe meine obige diesbezügliche Kritik). Umgekehrt kann bei an und für sich beziehungsstarken Klienten, wenn es um einen eingeschränkten Problemkreis geht (etwa das Rauchen aufzugeben), vielleicht auch ein eher technisch induzierter Basis-Rapport ausreichend sein. Ich selbst würde aber unabhängig von der Beziehungsbedürftigkeit eines Klienten und unabhängig von der therapeutischen Notwendigkeit, stets eine therapeutische Beziehung im Stahlschen Sinne anstreben.
Mehrere sich ergänzende Fähigkeiten auf Seiten des Therapeuten scheinen mir hierfür erforderlich:
Wohlwollende, neugierige innere Haltung: Die Fähigkeit, eine wache, aufrichtige, wohlwollende, wertschätzende, innere Haltung mit großer Neugierde auf die Einzigartigkeit und die Ausdrucksformen des Klienten zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. (Vor allem auch dann, wenn dieser nicht bequem ist, vielleicht sogar Kritik übt, vom Therapeuten als nicht wertschätzend erlebt wird usw.). Die Bereitschaft zu einem echten Rapport und einer echten Begegnung mit dem Klienten ist in dieser Fähigkeit bereits enthalten. Dieser Fähigkeit wird in der vorhandenen NLP-Literatur wenig oder gar keine Bedeutung beigemessen; in den NLP-Ausbildungs-Curricula hat sie keinen eigenen Platz oder Namen. Entweder wird sie von den Ausbildern als nicht so wichtig an gesehen oder aber als irgendwie schon vorhanden vorausgesetzt. Bisher bleibt ihr Erwerb daher eher dem „Zufall“ überlassen. Andere Therapieverfahren (allen voran die Gesprächstherapie nach Rogers) leisten da gründlichere Arbeit. Innerhalb eines klassischen NLP-Ausbildungskontextes wird es am ehesten gelingen, diese Fähigkeit durch implizites Modelling zu erlernen, wenn der Ausbilder selbst in ausreichendem Maß über sie verfügt.
Genaue, detaillierte Wahrnehmung: Die Fähigkeit, ein breites (prinzipiell sinnvolles) Spektrum von Parametern wahrzunehmen, das die Einzigartigkeit des Klienten ausmacht (ggf. zunächst einmal zu helfen, es zutage treten zu lassen). Diese Fähigkeit gibt der wertschätzenden Neugierde (s.o.) die Such-Richtung und gleichzeitig hilfreiche Antworten, um den Klienten in seiner Vielfalt zu verstehen. Die Entwicklung dieser Fähigkeit ist bereits eine echte Stärke des klassischen NLP, es bietet zahlreiche und differenzierte Möglichkeiten hierzu: einerseits viele unterschiedliche wahrnehmbare Parameter (Repräsentationssysteme, Submodalitäten, mentale Strategien, physiologische Beobachtungen, Meta-Programme, Glaubenssätze, Werte, Persönlichkeitsanteile usw.) und andererseits differenzierte Möglichkeiten zum Hervorrufen dieser Parameter, sofern sie nicht quasi von alleine „sichtbar“ werden (Fragetechniken u.a. nach dem Meta-Modell und induzierende, inhaltsfreie Prozesssprachmuster nach dem Milton-Modell).
Vielseitiges, differenziertes inneres und äußeres Pacing: Die Fähigkeit, viele dieser Parameter bewusst, vor allem aber auch unbewusst innerlich und äußerlich pacen und spiegeln zu können. Auch im Bezug auf diese Fähigkeit zeigt sich das klassische NLP (teilweise) von seiner starken Seite. Durch das bewusste, zunächst eher mechanische Üben der verschiedenen Pacing-Möglichkeiten erhöhen sich die natürlichen und später intuitiv einsetzbaren Ausdrucksmöglichkeiten des Therapeuten. So sollte es nach einem gründlichen Training für ihn leicht, normal und kongruent möglich sein, schneller oder langsamer sprechen, handeln und sich bewegen zu können, lauter oder leiser sein zu können, sich abstrakter oder weniger abstrakt ausdrücken zu können, unterschiedliche Repräsentationssysteme nutzen zu können usw. (Soviel ich sehe, reichen die klassischen NLP-Ausbildungen häufig allerdings nicht aus, dieses Ziel wirklich zu erreichen, aber sie postulieren zumindest die Wichtigkeit und geben zahlreiche Übungsanregungen hierzu.)
Dabei sollte der durch das Pacing oftmals begünstigte (vielleicht auch erst möglich gewordene), gute Rapport nicht im inneren Aufmerksamkeitsfokus stehen (wenngleich er natürlich auch vom Therapeuten gerne wahr- und angenommen wird). Vielmehr sollte das Pacing primär der Ergänzung der ersten beiden Fähigkeiten dienen. Indem der Therapeut sich dem Klienten ähnlich macht, eröffnet sich ihm ein vertiefter innerer Zugang zu dessen Einzigartigkeit, ein (natürlich zunächst einmal nur hypothetisches) Verstehen gewissermaßen von innen heraus, eine Ergänzung des eher von außen, nüchtern, analytisch und „objektiv“ Wahrgenommenen der zweiten Fähigkeit. Außerdem ermöglicht es eine erste (im weiteren Verlauf noch zu vertiefende) Ahnung des Zusammenspiels der einzelnen beobachteten Parameter und der (Aus)wirkungen dieses Zusammenspiels auf den Klienten. Möglich wird dies dadurch, dass ähnliche Körperhaltungen, Bewegungen, Lautstärken, Geschwindigkeiten usw. bei verschiedenen Menschen häufig ähnliche Wirkungen hervorrufen.
Neben dem auch direkt vom Klienten wahrnehmbaren äußeren Pacing (wie Gestik, Lautstärke, Wortwahl usw.) scheint mir das innere Pacing mindestens ebenso wichtig. Mit innerem Pacing meine ich das eigene Nachvollziehen („Ausprobieren“) der zuvor herausgefundenen mentalen Strategien des Klienten, so als wollte der Therapeut ihn modellieren. Die Antwort auf Bandlers berühmte Frage (sinngemäß): „Wenn ich Sie einen Tag vertreten sollte, was und wie genau müsste ich dabei alles innerlich und äußerlich, bewusst und unbewusst tun …, um genauso zu sein, mich genauso zu fühlen und genauso zu handeln wie Sie?“ liefert im Grunde alles, was ein Therapeut fürs äußere und innere Pacing braucht. (Allerdings kommen die Informationen nicht auf Knopfdruck, einfach durch diese Frage schon ausgelöst! Die Frage ist eher als Anregung für den Therapeuten, nicht als (einzige) Frage an den Klienten gedacht.)
Das innere Pacing sollte hauptsächlich dazu dienen, die sog. 2. Wahrnehmungsposition möglich zu machen, um den Klienten bestmöglich zu verstehen. Gelingt dem Therapeuten dieses Verstehen (auf der Basis einer wohlwollenden Neugierde) und kann er es außerdem seinem Klienten in einer für ihn angemessenen Art zurückspiegeln, ist ein guter Rapport (fast) selbstverständlich.
Im Pacing geht es also um zweierlei: a) ein möglichst vielschichtiges Verstehen des Klienten und b) die Fähigkeit, sich in dessen „Sprache“ (verbal und nonverbal) so auszudrücken, dass dieser seinerseits den Therapeuten verstehen kann und sich von ihm auch verstanden fühlt. Das innere Pacing dient primär dem Verstehen, das äußere Pacing schlägt primär die Brücke zum Klienten.
Das klassische NLP hat den Fokus meines Erachtens zu sehr auf das äußere Pacing gerichtet (trotz der späteren Einführung der 2. Wahrnehmungsposition, die zwar im Sinne eines inneren Pacings definiert ist, die Möglichkeiten, sie zu erreichen, bis heute aber wenig reflektiert und entsprechend wenig geschult wurden).
Andere Therapieformen richten ihren Fokus zu sehr auf ein „empathisches Mitschwingen“ oder sogar auf ein bloßes rationales Verstehen. Jeweils eins davon reicht meiner Einschätzung nach aber häufig nicht aus, eine erfolgreiche Therapie durchzuführen:
Klienten können sich (zunächst) verstanden fühlen, obwohl der Therapeut sie nicht oder nur sehr oberflächlich versteht. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Therapeut sich primär auf äußeres Pacing konzentriert. Es mag einen kurzfristigen positiven Effekt haben, eine echte Beziehung entsteht dabei aber nicht.
Klienten können sich nicht verstanden fühlen, obwohl der Therapeut sie (weitgehend) versteht. Das kann vor allem der Fall sein, wenn der Therapeut zwar inneres Pacing macht, aber nicht ausreichend bereit oder in der Lage ist (oft legitimiert durch den Anspruch, selber ganz echt und authentisch zu sein), das vorhandene Verständnis dem Klienten gegenüber auch durch äußeres Pacing zu unterstützen und zurückzuspiegeln. (Schon ein für den Klienten mit etwas zu schneller Stimme zurückgespiegeltes, inhaltlich perfektes Verständnis kann zum Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens führen – und Geschwindigkeit ist nur einer der hierbei relevanten Parameter.)
Die zahlreichen hier angesprochenen technisch differenzierten äußeren Pacing-Parameter möchte ich dabei primär für den Lern- und Übekontext innerhalb der NLPt-Ausbildung verstanden wissen; sie dienen der Erweiterung des natürlich-kongruenten Ausdrucksspektrums des Therapeuten, über die er nach dem Training im intuitiven Zugang verfügen können sollte. Gerade damit ihm dies in der späteren therapeutischen Arbeit auch möglich wird, sollten sie sehr gründlich geübt und trainiert werden (in meinem Verständnis durchaus technisch und kleinchunkig orientiert, aber auch spielerisch experimentell – vergleichbar etwa mit dem Üben von Koloraturen u.ä. im Gesangsunterricht).
Zusammenfassend möchte ich Pacing in meinem Verständnis Neuro-Linguistischer Psychotherapie folgendermaßen definieren:
Pacing ist die Fähigkeit sich einem anderen Menschen innerlich und äußerlich ähnlich zu machen, mit dem Ziel, den anderen zu verstehen und seinerseits von ihm verstanden zu werden.
Sinnvolle Auswahl aus der Fülle der Pacingmöglichkeiten: Die Fähigkeit, bewusst und/oder unbewußt aus der Fülle der Pacingmöglichkeiten gezielt Sinnvolles für das äußere Pacing auszuwählen. Das setzt zunächst auch die Fähigkeit voraus, richtig einzuschätzen, welche der vielen wahrgenommenen Parameter für den Klienten und im Hinblick auf seine speziellen Ziele von Bedeutung sind. Dies kann sowohl durch eigene Einschätzung (orientiert einerseits am nonverbalen Ausdruck/Physiologie des Klienten und andererseits an den durch inneres Pacing gewonnenen Hypothesen) geschehen, als auch durch direkte Fragen an den Klienten. Aber auch dann bleibt noch die Frage, ob denn sinnvollerweise das für den Klienten Bedeutsame gepacet werden soll, oder ob vielleicht gerade etwas anderes, weniger Bedeutsames hilfreicher ist.
Diese Fähigkeit ist im NLP bislang sehr wenig reflektiert worden, bleibt also auch weitgehend dem Zufall oder der „richtigen“ Intuition des Therapeuten überlassen. Dass eine solche, bis dato eher ungeschulte, Intuition automatisch in eine gute Richtung führt, halte ich für unwahrscheinlich, zumal Pacing eben nicht primär dem Rapport, sondern einerseits dem Verstehen dient, und anderseits immer auch schon in eine bestimmte Richtung führt.
Letztlich halte ich die Trennung zwischen Pacing und Leading eher für künstlich: Da es wohl keinem Therapeuten jemals gelingen wird, seinen Klienten hundertprozentig in allem zu pacen (also im Sinne von Kutschera ihm gleichzuwerden, s.o.), wird er zwangläufig einiges pacen und anderes nicht pacen. Das Gepacete wird dadurch verstärkt (durch den Therapeuten positiv bewertet), das nicht Gepacete dagegen verliert an Bedeutung – was der Klient entweder akzeptiert, oder wogegen er rebelliert. Jedes äußere Pacing ist daher immer auch schon ein Leading in eine bestimmte Richtung. Was ein Therapeut nach außen hin pacet und was nicht, ist also keineswegs beliebig.
Was und wie soll der Therapeut z.B. pacen, wenn der Klient sich widersprüchlich verhält? Erst das eine, dann das andere? Was zuerst? Oder beides gleichzeitig? Aber wie? Und wie kann und sollte gepacet werden, wenn es sich nicht nur um eine einfache, sondern um eine multiple Widersprüchlichkeit handelt?
Ein häufig in der Praxis von mir beobachtetes Beispiel: Ein NLP-Therapeut führt mit einem Klienten ein 6-Schritt-Reframing durch. Der für das Problem verantwortliche (Persönlichkeits-)Teil verrät eine positive Absicht. Der Therapeut freut sich und würdigt (gemäß NLP-Lehrbuch) diese Äußerung und die in seinen Augen gelungene Kommunikation mit diesem Teil; er pacet diesen Teil des Klienten dadurch also intensiv. Der Klient (oder sagen wir, sein „Ich-Bewußtsein“) ärgert sich aber über die Antwort des Teils, weil er sie unmöglich findet. Er fühlt sich bereits in diesem Moment vom Therapeuten nicht mehr verstanden („Wie kann der das bloß gut finden?“). Wenn dann der Therapeut auch noch mit leicht vorwurfsvoller oder Lehrmeister hafter Stimme sagt „Wenn du deinen Teil nicht auch, so wie ich es dir gerade vorgemacht habe, wertschätzt, wird sich dein Problem nie lösen!“, ist der Rapport zwischen Therapeut und Klient bis auf weiteres wahrscheinlich gestört (der Klient fühlt sich weder verstanden noch wertgeschätzt, muss sich jetzt sogar auch noch gegenüber dem Therapeuten rechtfertigen!). Dabei müsste in diesem an sich einfachen Fall der Therapeut lediglich zusätzlich zum Pacing des betreffenden Teils auch das Ich-Bewußt-Sein mit seinem Ärger pacen – etwa so: „Irgendwie aber auch ganz schön blöde Antwort von deinem Teil, oder? … (sich verstanden fühlendes Nicken oder sonstige entsprechende Äußerung des Klienten abwarten!) … Würdest du gerne mehr darüber wissen, wieso dein Teil so geantwortet hat oder was vielleicht dahinter stecken mag?“
Abschließend hierzu noch drei beispielhafte Fragen, die die Problematik der Auswahl des zu Pacenden direkt deutlich machen: Wie soll der Therapeut sinnvoller Weise einen Klienten pacen, der stark dazu neigt andere Menschen, also auch den Therapeuten, zu vergöttern? Und wie soll er einen Klienten pacen, der sich in ihn verliebt hat? Und wie soll er einen Klienten pacen, der erwartet, das ihm einer sagt, was und wie er es tun soll? Die Diskussion über diese und ähnliche Fragen hat in der NLPt bisher nicht stattgefunden. Das Vorgehen bleibt daher weitgehend dem selbst entwickelten oder durch andere Schulen geprägten therapeutischen und ethischen Verständnis sowie der Intuition des Therapeuten überlassen — viel Spielraum also für kreatives Experimentieren, aber auch die Gefahr von Selbstüberschätzung, therapeutischem Misserfolg und Missbrauch der Therapeuten-Klientenbeziehung. Die weitere Diskussion und Auseinandersetzung an anderer Stelle erscheint mir daher dringend erforderlich.
Sinnvolles Leading: Die Fähigkeit, zu entscheiden, wann, in welche Richtung und in welcher Form ein Leading sinnvoll ist. Auch diese Fähigkeit ist im NLP bislang wenig oder gar nicht reflektiert worden. Nach den Ideen des klassischen NLP kann und sollte der Therapeut leaden, sowie er genug gepacet und dadurch einen guten Rapport erzielt hat. Aber wann genau ist der Rapport gut genug? Und ist der Zeitpunkt auch wirklich sinnvoll? Und wenn ja, wie und in welche Richtung sollte er dann sinnvoller Weise leaden? Nach welchen Kriterien kann er da entscheiden? Ebenso wie ein äußeres Pacing immer auch ein Leading enthält, kann ein Leading vom Klienten meines Erachtens nur umgesetzt werden, wenn es viele Pacing-Anteile enthält. (Ein Beispiel: Wird eine Leading-Absicht nicht in einer Sprache gesprochen, die der Klient versteht, wird er ihr kaum folgen können; im erfolgreichen Fall ist aber allein das Sprechen der Sprache des Klienten schon ein sehr starkes Pacing.) Ein erfolgreich umgesetztes Leading besteht also letztlich nur zum geringsten Teil aus Leading zu etwas Neuem hin, zu weiten Teilen aus Pacing.
Mit dem von mir zuvor vorgeschlagenen Verständnis von Pacing als Mittel zum Verstehen und Verstandenwerden, kann zumindest eine der obigen Fragen beantwortet werden: Mit dem Leading sollte frühestens begonnen werden, wenn a) der Therapeut meint, den Klienten umfassend genug verstanden zu haben, b) der Klient sich vom Therapeuten auch verstanden fühlt, c) der Therapeut eine sinnvolle Leading-Idee hat. Die große Sammlung von NLP-Formaten beinhalt hunderte derartiger (auch miteinander kombinierbarer) Leading-Ideen, möglicher therapeutischer Angebote und Interventionen. Sinnvolle Auswahlkriterien für diese Formate fehlen aber bis heute weitgehend. Die in der Literatur genannten Indikationen, beziehen sich meist nur auf den therapeutischen Augenblick oder Teilaspekte des Klienten (z.B. Entdeckung eines einschränkenden Glaubenssatzes è Auflösung desselben / ein einschränkendes Gefühl è 6-Schritt-Reframing). Durch die Fülle der über den Klienten gesammelten Details verschwindet leicht das Gesamtbild seiner Persönlichkeit, der Kern der zugrunde liegenden Problematik wird vielleicht gar nicht erst gesehen. Sinnvolle Auswahlkriterien für therapeutisches Leading können in der NLPt wahrscheinlich erst dann wirklich benannt werden, wenn zuvor auch eine Augeblicks überdauernde Störungs- und Persönlichkeitslehre akzeptiert (adaptiert und/oder entwickelt) wird. Weitere Gedanken hierzu sprengen den Rahmen dieses Artikels, sollten aber in späteren Veröffentlichungen folgen.
Wenn also Pacing immer auch Leading enthält und Leading immer auf viel Pacing basiert, müsste das bisherige Verständnis beider Begriffe weiter hinterfragt, geändert und/oder erweitert werden. Ich kann mir beide Begriffe gut als hilfreiche Unterscheidung für den jeweils primären inneren (bewussten) Aufmerksamkeitsfokus beim Therapeuten vorstellen:
- Beim Pacing fokussiert der Therapeut primär auf ein vielschichtiges Verstehen des Klienten und auf ein Widerspiegeln dieses Verständnisses in einer für den Klienten verständlichen und wertschätzenden Art und Weise (sollte aber trotzdem die parallel stattfindenden Leadingwirkungen wahrnehmen und berücksichtigen).
- Beim Leading fokussiert er primär auf etwas für den Klienten Ungewohntes oder Neues (sollte aber trotzdem die gerade auch hierfür notwendige Pacingbasis aufrechterhalten, vielleicht sogar noch verstärken).
Die fünf hier charakterisierten Fähigkeiten möchte ich nicht in einer linearen Reihenfolge verstanden wissen; in der Praxis ergänzen sie sich zeitparallel und wirken miteinander und untereinander, wobei der bewusste Aufmerksamkeitsfokus des Therapeuten zwischen ihnen wechseln kann. Zusammen bilden sie meines Erachtens die Basis für eine erfolgreiche therapeutische Beziehung im Sinne der Neuro-Linguistischen Psychotherapie. Einige dieser Fähigkeiten sind durch das bisher im NLP und in der NLPt entwickelte Material bereits detailliert erfasst worden und können daher direkt trainiert werden; andere beinhalten vorläufig noch mehr Fragen als Antworten. Einige erste Anregungen konnte ich hier geben, weitere Reflexion, Auseinandersetzung mit Kollegen, weitere Fragen und Modelling scheinen hier notwendig und sinnvoll.
Darüber, welche Form und welchen Charakter die therapeutische Beziehung dann im Einzelfall haben kann und haben sollte, müsste an anderer Stelle nachgedacht, geforscht und modelliert werden. Zum Geist des NLP würde am besten passen, wenn sehr viele unterschiedliche Formen von Beziehung möglich würden und der NLP-Therapeut gemeinsam mit seinem Klienten die gerade in diesem Fall passendste und hilfreichste finden und verwirklichen könnte. In unterschiedlichen Phasen der Therapie könnten und müssten darüber hinaus oftmals sicherlich auch unterschiedliche Formen der Beziehung angestrebt werden. So etwas wie „neuro-linguistische Beziehungsphasen“ müssten also definiert werden. (Auch für diese komplexe Form der Beziehungsgestaltung halte ich es wiederum nicht für ausreichend, sie einzig dem Zufall und der ungeschulten/unreflektierten Intuition des Therapeuten zu überlassen.)
Um verschiedene sinnvolle Beziehungsformen und Beziehungsphasen (in denen NLPt sinnvoll stattfinden kann) zu definieren, zu charakterisieren und für den Therapeuten (soweit möglich) lernbar zu machen, bedarf es einer mittel- und längerfristigeren Betrachtungsweise der therapeutischen Beziehung als bei der in diesem Aufsatz vorgelegten Basisbetrachtung, die ja eher auf den Anfang der therapeutischen Beziehung und den jeweiligen Augenblick im Sinne einer hilfreichen Prozessbegleitung abzielt. Zu einer derartigen längerfristigen Betrachtungsweise gibt es im bisher beschriebenen NLP (NLPt) fast keine Aussagen. Spannendes Neuland ist also zu betreten.
Literatur
Dilts, R. (1993). Die Veränderung von Glaubenssystemen. Paderborn: Junfermann.
Dilts, R., Hallbom, T. & Smith, S. (1991). Identität, Glaubenssysteme und Gesundheit: Höhere Ebenen der NLP-Veränderungsarbeit. Paderborn: Junfermann.
Kutschera, G. (1994). Tanz zwischen Bewußt-sein & Unbewußt-sein. NLP Arbeits- und Trainingsbuch. Paderborn: Junfermann.
O’Connor, J. & Seymour, J. (1994). Neurolinguistisches Programmieren: Gelungene Kommunikation und persönliche Entfaltung (4. erweiterte Auflage) Freiburg: VAK.
Schauer, G. (1995). NLP als Psychotherapie. Harmlose Mixtur oder hochwirksames Verfahren? Paderborn: Junfermann.
Schütz, P. et al. (2001). Theorie und Praxis der Neuro-Linguistischen Psychotherapie (NLPt). Das wissenschaftliche Fundament für die Europa-Anerkennung von NLPt. Paderborn: Junfermann.
Shazer, S. de (1989). Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.
Stahl, T. (1992). Neurolinguistisches Programmieren (NLP). Was es kann, wie es wirkt und wem es hilft. München: PAL.
Weerth, R. (1992). NLP & Imagination. Grundannahmen, Methoden, Möglichkeiten und Grenzen. Paderborn: Junfermann.
Yapko, M. D. (1995). Essentials of Hypnosis. New York: Brunner/Mazel (zitiert nach Ötsch, W. & Stahl, T. (1997). Das Wörterbuch des NLP. Paderborn: Junfermann, S.161).
[1] Dieser Artikel ist veröffentlicht in: Birgit Bader, Martin Haberzettl, Klaus-Rüdiger Gimmler, Rupprecht Weerth, Klaus Witt (Hrsg./2005). Emotion und Beziehung – Diskussion und Praxis der NLPt. Band 1. Hamburg: Psymed-Verlag, S. 137 – 157.
[2] Dilts, R. (1993), S. 227.
[3] Dilts, R., Hallbom, T. & Smith, S. (1991), S. 220.
[4] O’Connor, J. & Seymour, J. (1994), S. 358.
[5] Yapko, M. D. (1995), S. 52.
[6] Kutschera, G. (1994), S. 341.
[7] Stahl, T. (1992), S. 20 ff.
[8] Schauer, G. (1995), S. 170.
[9] Schütz, P. et al. (2001), S. 128.
[10] a.a.O.: S. 128 f.
[11] Weerth, R. (1992), S. 131.
[12] ebda.
[13] a.a.O.: S. 130 f.
[14] Stahl, T. (1992).
[15] a.a.O.: S. 20.
[16] a.a.O.: S. 21 ff.
[17] a.a.O.: S. 24 f.
[18] Shazer, S. de (1989).
[19] Shazer, S. de (1993), persönliche Mitteilung.